Kommentar
Hintergrund
Die Adipositaschirurgie hat sich als effektivste Therapie der morbiden Adipositas erwiesen. Weiterhin führen adipositaschirurgische Operationen regelhaft zu einer Verbesserung und oft auch der vollen Remission von Adipositas-assoziierten Begleiterkrankungen [DGAV, DAG, DDG, DGEM, DGE-BV, DGPM, DGPRÄC, DKPM, VDBD, VDOE, et al. 2018]. Gemäß der aktuellen deutschen S3 Leitlinie der DGAV von 2018 ist bei Vorliegen einer schweren Adipositas mit BMI ≥40 kg/m² (auch ohne Begleiterkrankungen) eine adipositaschirurgische Operation indiziert, sofern alleinige konservative Maßnahmen zur Gewichtsreduktion (Ernährungsumstellung, Bewegungsmaßnahmen und ggf. Verhaltenstherapie) versagt haben. Darüber hinaus sollte eine solche schon bei einem BMI ≥35 kg/m² und mindestens einer wesentlichen adipositasspezifischen Begleiterkrankung wie z.B. einer NAFLD und NASH angeboten werden, sofern alleinige konservative Maßnahmen zur Gewichtsreduktion versagt haben [DGAV, DAG, DDG, DGEM, DGE-BV, DGPM, DGPRÄC, DKPM, VDBD, VDOE, et al. 2018].
Dabei ist zu berücksichtigen, dass NAFL und NASH häufige Komorbiditäten adipöser Patienten darstellen [Younossi, Z. M. et al. 2019]. Verschiedene Studien und eine aktuelle Meta-Analyse zeigen, dass bei diesen Patienten die Adipositaschirurgie zu hohen Remissionsraten der NAFL und NASH führte [Lee, Y. et al. 2019]. Die qualitativ besten Daten stammen aus der „Lille Bariatric Cohort“, welche bei histologisch gesicherter NASH über fünf Jahre eine hohe Remissionsrate zeigte. Zudem offenbarte die Studie, dass die Adipositaschirurgie zu einer langanhaltenden Verbesserung einer bestehenden Leberfibrose führen kann, auch wenn es in einem geringen Prozentsatz zu einem Fibroseprogress kam [Lassailly, G. et al. 2020]. Diese Beobachtung ist von hoher Relevanz da die Fibrose als der wichtigste Risikofaktor für den Progress der NAFLD zu einer Zirrhose oder einem HCC gilt [Dulai, P. S. et al. 2017], [Hagström, H. et al. 2017]. Register-basierte Daten deuten darauf hin, dass die Adipositaschirurgie das HCC-Risiko und den Progress zur Zirrhose reduziert [Kwak, M. et al. 2019], [Wirth, K. M. et al. 2020]. Zuletzt ergab eine Kosten-Nutzen-Analyse insbesondere bei NASH einen Vorteil für die Adipositaschirurgie [Klebanoff, M. J. et al. 2017].
Wenngleich es mittlerweile Studien gibt, welche den positiven Effekt einer Gewichtsreduktion selbst bei normalgewichtigen NASH-Patienten nachweisen [Alam, S. et al. 2019], und trotz der sehr guten chirurgischen Ergebnisse in pro- und retrospektiven Kohortenstudien bei Patienten mit BMI ≥35 kg/m2, kann aktuell keine allgemeingültige Empfehlung zur Therapie der NAFLD mittels metabolischer Chirurgie bei BMI <35 kg/m2 und Versagen der konservativen Therapie abgegeben werden. Weiterhin liegen hier nur Daten aus nicht-randomisierten Studien vor und keine Daten zu den Effekten der metabolischen Chirurgie bei Patienten mit einem BMI <35 kg/m2 und NAFLD bzw. NASH. Eine kürzlich publizierte Netzwerk Meta-Analyse deutet jedoch darauf hin, dass metabolisch chirurgische Operationen eine effektivere Therapieoption als medikamentöse Therapien darstellen [Panunzi, S. et al. 2020]. Zukünftige Studien sollten metabolische Operationen direkt mit der effektivsten medikamentösen Therapie vergleichen und auf diese Weise den Stellenwert metabolischer Operationen bei Patienten mit NAFLD und BMI <35kg/m2 untersuchen.
Bei Patienten mit etablierter Leberzirrhose sollte eine adipositaschirurgische Operation nur im kompensierten Stadium erfolgen. Mosko et al. konnten zeigen, dass die Mortalität bei dekompensierter Zirrhose und/oder stattgehabter Blutung aufgrund eines Pfortaderhochdruckes sprunghaft ansteigt (kompensierte Zirrhose: 0,9%; dekompensierte Zirrhose: 16,3%) [Mosko, J. D. et al. 2011]. Insgesamt ist das Risiko für perioperative Komplikationen bei Patienten mit kompensierter Leberzirrhose zwar deutlich erhöht, aber noch im akzeptablen Bereich [Younus, H. et al. 2020], [Quezada, N. et al. 2020], [Vuppalanchi, R. et al. 2020]. Bei Patienten mit Lebererkrankung und Zeichen einer portalen Hypertension sollte präoperativ eine ausführliche Abklärung erfolgen [Goh, G. B. et al. 2018]. Dazu gehört zumindest eine Vorstellung bei einem Gastroenterologen/ Hepatologen, eine präoperative ÖGD mit Frage nach Ösophagusvarizen und/oder einer hypertensiven Gastropathie sowie eine portalvenöse CT zur Evaluation von Umgehungskreisläufen. Ggf. kann auch eine invasive Pfortaderdruckmessung in Erwägung gezogen werden. Weiterhin ist die Indikation für eine adipositaschirurgische Operation bei Patienten mit portaler Hypertension nur im Rahmen einer sorgfältigen, kritischen interdisziplinären Nutzen-Risiko-Abwägung zu stellen [Hanipah, Z. N. et al. 2018]. In Zentren mit sehr viel Erfahrung und maximaler Versorgungskapazität kann ggf. vor einer adipositaschirurgischen Operation die Senkung des Pfortaderdruckes in Erwägung gezogen werden [Hanipah, Z. N. et al. 2018]. Mit der entsprechenden Erfahrung und guter Selektion in hochspezialisierten Zentren für Lebertransplantation (LTX) und bariatrische Chirurgie können bariatrische Operationen auch bei LTX-Kandidaten durchgeführt werden [Sharpton, S. R. et al. 2019].