Kommentar
Hintergrund
Aufgrund einer erhöhten Morbidität und Mortalität nach LTX wird ein BMI von >40 kg/m2 von vielen Zentren als relative Kontraindikation zur LTX angesehen [Diwan, T. S. et al. 2020]. Darüber hinaus zeigen zirrhotische Patienten mit einem BMI ≥40 kg/m2 ein erhöhtes Mortalitätsrisiko auf der Warteliste bzw. ein erhöhtes Risiko für eine Delistung [Kardashian, A. A. et al. 2018]. Der Zusammenhang zwischen einem BMI ≥40 kg/m2 und einer Verschlechterung der Ergebnisse nach LTX sind nicht in allen Analysen gleichermaßen nachzuweisen [Barone, M. et al. 2017]. Daher sollte bei Patienten auf der Transplantationsliste mit schwerer Adipositas (BMI >35 kg/m2) und weiteren prognostisch ungünstigen Faktoren (z.B. T2DM) eine adipositaschirurgische Operation auf individueller Basis und nach Versagen von konservativen Maßnahmen diskutiert werden [Aller, R. et al. 2018].
Aus bisher vorliegenden Daten können keine allgemeinen Empfehlungen für den optimalen Zeitpunkt einer adipositaschirurgischen Operation vor, während oder nach einer LTX abgeleitet werden [Aller, R. et al. 2018], unter anderem auch, weil jeder Zeitpunkt der Operation mit spezifischen Risiken und Kontraindikationen behaftet ist [Tsochatzis, E. et al. 2019]. Die Therapieplanung bei Patienten mit einem BMI >35 kg/m2 und möglicher Indikation zur LTX sollte daher individuell nach sorgfältiger Risiko-Nutzenabschätzung erfolgen [Ratziu, V. et al. 2019]. Dies sollte in Zentren mit entsprechender Erfahrung in der Adipositaschirurgie und der Transplantationsmedizin erfolgen, da die Krankenhausmortalität bei Zirrhosepatienten in Zentren mit >100 adipositaschirurgischen Operationen pro Jahr deutlich niedriger ist als in Zentren mit geringeren Fallzahlen (OR 0,3, p<0,0001 im Vergleich zu Zentren mit <50 Operationen pro Jahr) [Mosko, J. D. et al. 2011]. Mit der entsprechenden Erfahrung können in hochspezialisierten Zentren für LTX und Adipositaschirurgie auch LTX-Kandidaten relativ sicher adipositaschirurgisch operiert werden [Sharpton, S. R. et al. 2019].
Eine adipositaschirurgische Operation vor LTX kann hilfreich sein, um Patienten mit morbider Adipositas überhaupt den Zugang zu einer LTX zu ermöglichen und gleichzeitig sinnvoll, um modifizierbare Risikofaktoren für das Überleben nach LTX günstig zu beeinflussen [Diwan, T. S. et al. 2020]. Allerdings sind adipositaschirurgische Eingriffe vor LTX nur bei Patienten mit niedrigem MELD-Score und fehlender klinischer Dekompensation mit vertretbarem Risiko durchführbar. Außer bei Vorliegen eines HCC als Transplantationsindikation besteht bei Patienten mit gut kompensierter Zirrhose in der Regel keine Indikation zur LTX. Somit spielt die präoperative Adipositasoperation in der Klinik keine wesentliche Rolle. Weiterhin wurde über eine erhöhte Rate an Delistungen wegen Sarkopenie nach adipositaschirurgischer Operation bei Kandidaten für eine LTX berichtet [Idriss, R. et al. 2019].
Es konnte in kleineren Fallserien gezeigt werden, dass eine SG bei Child A Zirrhose mit guter Kompensation mit einer erhöhten aber insgesamt immer noch geringen Komplikationsrate verbunden ist [Quezada, N. et al. 2020], [Hanipah, Z. N. et al. 2018], [Agarwal, L. et al. 2020]. Bei dekompensierter Zirrhose oder signifikanter portaler Hypertension steigt sowohl die postoperative Komplikationsrate als auch die Mortalität signifikant an, so dass hier die Indikation zur Adipositaschirurgie vor einer LTX nicht mehr ohne weiteres gestellt werden sollte. Eine Auswertung von Daten des US-amerikanischen Nationwide Inpatient Sample basierend auf 3.888 Adipositasoperationen bei Patienten mit kompensierter Zirrhose und 62 mit dekompensierter Zirrhose zeigte, dass selbst bei kompensierter Zirrhose ein verlängerter Krankenhausaufenthalt und eine erhöhte Krankenhaus-Mortalität verglichen mit Patienten ohne Zirrhose (0,3% vs 0,9% OR 2,17) besteht. Spätere Dekompensationen und Wiederaufnahmen wurden nicht berücksichtigt. Bei Patienten mit dekompensierter Zirrhose betrug die Mortalität dagegen 16,3% (OR 21,2) [Mosko, J. D. et al. 2011]. Bezüglich der Art der Operation bei Zirrhosepatienten hat die SG deutlich weniger Komplikationen als der RYGB [Agarwal, L. et al. 2020].
Verlässliche Daten für eine bessere Risiko-Stratifizierung von Patienten mit morbider oder schwerer Adipositas anhand des MELD-Scores, des HVPG oder von Leberfunktionstesten liegen bisher nicht vor. Allgemein steigt bei chirurgischen Eingriffen die 30-Tages Mortalität mit zunehmendem MELD Score linear an, und zwar um 1% für jeden MELD Punkt zwischen 8 und 20 und um weitere 2% für jeden MELD Punkt über 20 [Nicoll, A. et al. 2012], [de Goede, B. et al. 2012], [Newman, K. L. et al. 2020].
Ob eine präoperative TIPS-Implantation bei Patienten mit Zirrhose und portaler Hypertension die postoperative Komplikationsrate senken kann, ist für bariatrische Operationen bisher nicht geklärt. Bei anderen abdominellen Eingriffen kann eine präoperative TIPS-Anlage die Komplikationen durch die portale Hypertension reduzieren [Schmitz, A. et al. 2020], [Kim, J. J. et al. 2009].
Kommt bei Patienten mit dekompensierter Zirrhose eine LTX allein aufgrund der morbiden Adipositas nicht in Frage, kann individuell auch die Indikation zu einer simultanen adipositaschirurgischen Operation mit gleichzeitiger LTX erwogen werden. Berichte zu monozentrischen Fallserien mit akzeptablen Ergebnissen liegen vor allem für LTX mit simultaner SG vor. So konnte gezeigt werden, dass eine gleichzeitige SG während einer LTX den BMI nach LTX deutlich reduziert [Heimbach, J. K. et al. 2013], [Zamora-Valdes, D. et al. 2018]. Andererseits erhöht die simultane SG die perioperative Morbidität und Mortalität nach LTX. Zusätzlich kann es zu einer Mangelernährung in der Frühphase nach Transplantation kommen, was bei den ohnehin oft katabolen Patienten (‚sarcopenic obesity‘) die Rekonvaleszenz verzögern kann [Merli, M. et al. 2019]. Andererseits fand sich bei erfolgreicher simultaner Durchführung einer LTX mit SG eine dauerhafte Gewichtsreduktion bis zu 3 Jahre nach LTX (Gewichtsverlust 34,8 ± 17,3% nach 3 Jahren) und zusätzliche anhaltende Vorteile in Bezug auf den arteriellen Hypertonus, die Insulinresistenz und die Hyperlipidämie [Zamora-Valdes, D. et al. 2018].
Bezüglich der Verfahrenswahl liegen die meisten Erfahrungen im Kontext der LTX für die SG vor. Mögliche Vorteile der SG für (potentielle) Lebertransplantationspatienten bestehen zum einen in der einfacheren technischen Durchführbarkeit, im Erhalt des späteren endoskopischen Zugangs zum Gallenwegssystem und in der Vermeidung einer Malabsorption. Letzteres spielt auch im Hinblick auf die sichere Resorption der Immunsuppressiva eine Rolle.
Als dritte Option besteht die Möglichkeit einer adipositaschirurgischen Operation nach der LTX bei Versagen konservativer Maßnahmen mit persistierender oder sich verschlechternder morbider Adipositas. Die konservative Therapie von schwerer Adipositas und metabolischen Komplikationen nach LTX kann sich besonders schwierig gestalten, u.a. da Nebenwirkungen der Immunsuppression die metabolische Kontrolle erschweren [Pais, R. et al. 2016]. Auch für adipositaschirurgische Operationen nach LTX sind erfolgreiche Fallserien veröffentlicht [Osseis, M. et al. 2018], [Tsamalaidze, L. et al. 2018], [Dziodzio, T. et al. 2017]. Insgesamt sind die Komplikationen im vertretbaren Rahmen [Osseis, M. et al. 2018], [Lazzati, A. et al. 2015], [El Atrache, M. M. et al. 2012], [Butte, J. M. et al. 2007]. Aufgrund der zu erwartenden Verwachsungen und der Höhe der Immunsuppression sollte eine adipositaschirurgische Operation möglichst nicht vor Ablauf des ersten Jahres nach Transplantation erfolgen. Einzelfallberichte existieren für die Anwendung des IGB bei Patienten mit Leberzirrhose oder nach LTX [Choudhary, N. S. et al. 2016].