Kommentar
Hintergrund
Lebensstilintervention: Bei einem großen Anteil der Patienten mit NASH Zirrhose sind Übergewicht oder Adipositas vorhanden. In einer aktuellen europäischen Registerstudie lag der mittlere BMI von Patienten, die sich aufgrund einer NASH einer LTX unterziehen mussten, bei 32,6 kg/m2 [Haldar, D. et al. 2019]. Wie oben ausgeführt deutet vieles darauf hin, dass Adipositas mit einer schlechteren Prognose nach LTX assoziiert ist [Beckmann, S. et al. 2019]. Außer der Adipositas bestehen bei NASH-Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose häufig Mangelernährung, Sarkopenie und Myosteatose als prognostisch ungünstige Störungen der Körperzusammensetzung. Dabei können bei vielen Patienten mit Leberzirrhose Mangelernährung und Sarkopenie auch zusammen mit Adipositas als kombiniertes Krankheitsbild der sarkopenen Adipositas („sarcopenic obesity“) vorliegen [Czigany, Z. et al. 2020], [Montano-Loza, A. J. et al. 2016], [Carias, S. et al. 2016], [van Vugt, J. L. A. et al. 2018], [Vidot, H. et al. 2019]. Diese Zustände können durch gezielte Interventionen therapeutisch beeinflusst werden. Neben den Ernährungsempfehlungen zur Therapie des übergewichtigen Patienten mit NAFLD durch „mediterrane Diät“ mit reichlich Gemüse, Obst, Getreide, Fisch und Olivenöl als Hauptfettquelle [Suárez, M. et al. 2017], [Della Corte, C. et al. 2017], können Maßnahmen wie Zwischen- und Spätmahlzeiten, proteinreiche Ernährung, Zugabe von verzweigtkettigen Aminosäuren [Kawaguchi, T. et al. 2011][Park, J. G. et al. 2020], sowie eine dem Energiebedarf angepasste Ernährung Mangelzustände vermutlich günstig beeinflussen [Chen, C. J. et al. 2019], [Plank, L. D. et al. 2008], [Tsien, C. D. et al. 2012], [easloffice@easloffice.eu, European Association for the Study of the Liver. Electronic address: et al. 2019]. Eine differenzierte Erhebung von Ernährungszustand und Körperzusammensetzung bei NASH-Patienten auf der Transplantationswarteliste ist also angezeigt. Eine retrospektive Studie deutet darauf hin, dass Ernährungsinterventionen Überleben und Lebensqualität bei Patienten mit Leberzirrhose verbessern [Iwasa, M. et al. 2013]. Insbesondere ist bei fortgeschrittener NASH Zirrhose eine pauschale Empfehlung zur Gewichtsreduktion nicht angezeigt, da dies Sarkopenie und Mangelernährung verschlechtern könnte.
Adipositas kann mit psychischen Erkrankungen – etwa Essstörungen oder Depression - assoziiert sein [Yumuk, V. et al. 2015], [Durrer Schutz, D. et al. 2019] und umgekehrt auch psychosoziale Auswirkungen haben, die sich negativ auf die Prognose der Patienten auswirken [Sutin, A. R. et al. 2015]. Aus diesem Grund und da die Umsetzung erforderlicher Lebensstiländerungen durch eine psychologische Mitbetreuung verbessert werden kann, empfehlen aktuelle Adipositasleitlinien die psychologische Evaluation adipöser Patienten und die Einbindung psychologischer Interventionen in das Behandlungskonzept der Adipositas [Yumuk, V. et al. 2015], [Durrer Schutz, D. et al. 2019], [Wharton, S. et al. 2020]. Auch bei adipösen Patienten mit NASH Zirrhose im Rahmen der LTX-Evaluation sollte eine gezielte psychologische Evaluation mit der Frage nach Adipositas-assoziierten psychischen Erkrankungen und Bedarf für eine psychotherapeutische Mitbehandlung erfolgen.
Während für Patienten mit nicht-zirrhotischer NASH gut etabliert ist, dass die durch Lebensstiländerung erreichte Gewichtsreduktion eine histologische Besserung erzielt [Vilar-Gomez, E. et al. 2015], steht für Patienten mit fortgeschrittener NASH Zirrhose insgesamt wenig Evidenz zur Verfügung. Eine unkontrollierte Pilotstudie untersuchte den Effekt einer intensiven Lebensstilintervention mit individualisierter hypokalorischer Diät und 60 Minuten körperlichem Training pro Woche in 60 übergewichtigen oder adipösen Patienten mit kompensierter NASH Zirrhose und portaler Hypertension. Nach 16 Wochen konnte eine signifikante Gewichtsreduktion erzielt werden, die mit einer Reduktion des portalen Hypertonus einherging. Dekompensationen wurden unter der Intervention nicht registriert [Berzigotti, A. et al. 2017]. Zahlreiche kleinere Studien zeigten ebenfalls, dass angepasste Programme zum körperlichen Training keine nachteiligen Effekte bei Patienten mit Leberzirrhose haben, sondern legten positive Auswirkungen auf Aspekte wie maximale Sauerstoffkapazität (VO2), Muskelmasse, Mobilität und Lebensqualität nahe [Debette-Gratien, M. et al. 2015], [Zenith, L. et al. 2014], [Duarte-Rojo, A. et al. 2018], [Brustia, R. et al. 2018]. Einschränkend muss hier der große Anteil an Child A Patienten in den Studien angemerkt werden. Ob bei dekompensierter Child C Leberzirrhose eine Lebensstilintervention eine klinische Besserung erzielen kann, ist bislang nicht in großen kontrollierten Studien untersucht. Ein angepasstes Bewegungstraining zum Erhalt der Mobilität erscheint sinnvoll.
Pharmakotherapie des T2DM: T2DM und NAFLD sind epidemiologisch stark miteinander assoziiert [Younossi, Z. M. et al. 2016], [Younossi, Z. M. et al. 2019], [Meex, R. C. R. et al. 2017], [Mantovani, A. et al. 2018]. Das Vorliegen eines T2DM vor LTX ist prädiktiv für ein schlechteres Therapieergebnis nach der Transplantation, vor allem bei Patienten mit schlechterer Diabeteseinstellung [Hoehn, R. S. et al. 2015]. Demgemäß ist die Auswahl der optimalen Diabetestherapie bei NAFLD Patienten auf der Warteliste eine zentrale Fragestellung. Diese Zielgruppe ist dadurch gekennzeichnet, dass in der Regel eine fortgeschrittene, dekompensierte Leberzirrhose oder ein HCC vorliegt. Leider enthalten aktuelle diabetologische Konsensuspapiere und Leitlinien keine spezifischen Empfehlungen für antidiabetische Therapien bei Patienten mit terminaler Lebererkrankung [Davies, M. J. et al. 2018], [Buse, J. B. et al. 2020], [Landgraf, R. et al. 2019], da Patienten mit fortgeschrittener Lebererkrankung oft von Therapiestudien ausgeschlossen sind [Gangopadhyay, K. K. et al. 2017]. Vor diesem Hintergrund liegt keine klare Evidenz bezüglich der optimalen antidiabetischen Pharmakotherapie bei Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose vor. Trotzdem sollen hier auf der Basis der vorliegenden Evidenz einige Überlegungen dargelegt werden.
Für Metformin ist in der Therapie des T2DM die Besserung relevanter Endpunkte einschließlich der kardiovaskulären Mortalität gut belegt [Maruthur, N. M. et al. 2016]. Speziell für Patienten mit Leberzirrhose und T2DM zeigten retrospektiven Untersuchungen, dass eine Metformintherapie die Inzidenz des HCC senkt [Chen, H. P. et al. 2013], [Donadon, V. et al. 2010], [Singh, S. et al. 2013] und die Überlebenswahrscheinlichkeit von Diabetikern mit Leberzirrhose – auch bei Patienten mit Child B oder C-Zirrhose - steigert [Zhang, X. et al. 2014], [Vilar-Gomez, E. et al. 2019]. Eine Reduktion der HCC-Inzidenz und der Mortalität wurde auch in einer retrospektiven Studie speziell bei NASH und fortgeschrittener Leberfibrose oder kompensierter Zirrhose beobachtet [Vilar-Gomez, E. et al. 2019]. Auch eine kleinere prospektive Beobachtungsstudie bei Patienten mit HCV-Zirrhose und T2DM zeigte eine signifikant reduzierte HCC-Inzidenz und eine signifikante Reduktion der leberassoziierten Mortalität bzw. LTX bei Patienten unter Metformintherapie [Nkontchou, G. et al. 2011]. Das Risiko einer Metformin-induzierten Laktatazidose ist bei T2DM-Patienten ohne Niereninsuffizienz insgesamt extrem gering [Richy, F. F. et al. 2014] und womöglich nicht einmal gegenüber Patienten ohne Metformineinnahme erhöht [Salpeter, S. R. et al. 2003]. Auch bei Patienten mit Leberzirrhose scheint Metformin mit ausreichender Sicherheit eingesetzt werden zu können [Zhang, X. et al. 2014], [Vilar-Gomez, E. et al. 2019], [Nkontchou, G. et al. 2011], [Smith, F. C. et al. 2020], gemäß der Studie von Zhang et al. vermutlich auch bei moderater Dekompensation [Zhang, X. et al. 2014]. Eine Leberinsuffizienz wurde nur selten als Risikofaktor einer Metformin-assoziierten Laktatazidose identifiziert [Renda, F. et al. 2013] und Metformin wird nicht in der Leber metabolisiert [Grancini, V. et al. 2019]. Insgesamt ist der Einsatz von Metformin bei Patienten mit T2DM und Leberzirrhose sinnvoll, wobei auf Kontraindikationen bei Hypoxämie (z.B. akut-auf-chronisches Leberversagen) und Niereninsuffizienz geachtet werden muss.
Für Thiazolidindione (TZD), Glucagon-like peptide-1 (GLP-1)-Rezeptoragonisten, Natrium–Glukose Co-transporter 2 (SGLT2)-Hemmer (Studienübersicht in Hydes et al. [Hydes, T. J. et al. 2020]) und Dipeptidyl Peptidase 4 (DPP4)-Inhibitoren [Yilmaz, Y. et al. 2012], [Alam, S. et al. 2018] wurden in Studien mehr oder weniger stark ausgeprägte günstige Effekte auf den Verlauf der NAFLD beschrieben (s.a. Kapitel „Medikamentöse Therapie“), jedoch wurden dabei keine Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose oder HCC, wie sie auf der Transplantationswarteliste zu erwarten sind, untersucht. Die Studienergebnisse stellen damit keine Rechtfertigung für den Einsatz bei Wartelistenpatienten dar. Diese ergibt sich vielmehr aus Verträglichkeit und Evidenz für diabetologische Endpunkte. TZD werden nahezu ausschließlich in der Leber metabolisiert und sind mit Nebenwirkungen wie Flüssigkeitsretention [Nesto, R. W. et al. 2004] und erhöhtem Risiko für osteoporotische Knochenfrakturen [Loke, Y. K. et al. 2009] assoziiert, die gerade bei ohnehin durch Aszites und Osteopenie gefährdeten Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose ungünstig sind. TZD sollten daher bei Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose nicht eingesetzt werden.
GLP-1-Rezeptoragonisten werden nicht in der Leber metabolisiert [Gangopadhyay, K. K. et al. 2017]. Pharmakokinetische Untersuchungen zeigten für Liraglutid kein erhöhtes Risikoprofil bei Patienten mit unterschiedlichen Schweregraden einer Leberinsuffizienz [Flint, A. et al. 2010]. Klinische Daten zur Sicherheit von GLP-1-Analoga bei fortgeschrittener Leberzirrhose fehlen. Ein Konsensuspapier zum Einsatz von Antidiabetika bei Leberzirrhose empfiehlt die Beschränkung des Einsatzes von GLP-1-Analoga auf Patienten mit Child A-Zirrhose [Gangopadhyay, K. K. et al. 2017]. Zu Bedenken ist, dass sich die unter GLP-1-Analoga beobachtete Gewichtsreduktion womöglich negativ auf eine vorbestehende Sarkopenie bei Leberzirrhosepatienten auswirken könnte.
SGLT2-Hemmer werden zwar überwiegend in der Leber metabolisiert, jedoch hat eine milde oder moderate Leberinsuffizienz keinen ungünstigen Effekt auf die Pharmakokinetik. Hepatotoxizität wird nicht beschrieben [Gangopadhyay, K. K. et al. 2017]. Expertenmeinungen sehen den Einsatz von SGLT2-Hemmern bei Child A-Zirrhose und unter regelmäßigem Monitoring auch im Child B-Stadium als unproblematisch an [Gangopadhyay, K. K. et al. 2017], [Grancini, V. et al. 2019]. Es liegen keine Studien zur antidiabetischen Therapie mit SGLT2-Inhibitoren bei dekompensierter Leberzirrhose vor. Zu beachten ist der diuretische Effekt der Substanzklasse, der bei Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose und fragiler Nierenfunktion möglicherweise das Risiko eines prärenalen Nierenversagens mit sich bringt. DPP-4-Inhibitoren sind bei unterschiedlichen Schwergraden einer Leberinsuffizienz untersucht worden, ohne dass ein ungünstiges Risikoprofil kurzfristig beobachtet wurde [Gangopadhyay, K. K. et al. 2017], [Arase, Y. et al. 2011], [He, Y. L. et al. 2007], [Graefe-Mody, U. et al. 2012], [Boulton, D. W. et al. 2011]. Bei Patienten mit Leberzirrhose und leichter oder moderater Leberfunktionseinschränkung ist der Einsatz von GLP-1-Rezeptorangonisten, DPP-4-Inhibitoren und SGLT2-Inhibitoren unter üblicher Vorsicht vermutlich vertretbar.
Alpha-Glucosidase-Inhibitoren wie Acarbose können wegen der geringen systemischen Wirkung und des geringen Hypoglykämierisikos bei Patienten mit enzephalopatisch dekompensierter Leberzirrhose und T2DM eingesetzt werden und wirken sich vermutlich günstig auf eine leichte bis moderate hepatische Enzephalopathie aus [Gentile, S. et al. 2001], [Gentile, S. et al. 2005].
Aufgrund des erhöhten Risikos für Hypoglykämien [Schopman, J. E. et al. 2014] und der bei fortgeschrittener Leberzirrhose zusätzlich beeinträchtigten Glukoneogenese sollten Sulfonylharnstoffe und Glinide bei Patienten mit Leberzirrhose nicht zum Einsatz kommen. Dieses Risiko wird vermutlich durch die vorwiegend hepatische Metabolisierung dieser Substanzen verstärkt [Grancini, V. et al. 2019]. Zudem lassen verschiedene Untersuchungen befürchten, dass unter Sulfonylharnstofftherapie eine erhöhte HCC-Inzidenz auftritt [Singh, S. et al. 2013], [Lee, J. Y. et al. 2019].
Insulin und Insulinanaloga stellen nach wie vor die effektivste antidiabetische Therapie dar. Die Pharmakokinetik sowohl für kurz- als auch langwirksame Insulinanaloga ist bei Leberfunktionsstörungen nur minimal verändert [Grancini, V. et al. 2019], [Home, P. D. et al. 2012]. Eine Insulintherapie wird bei Leberzirrhosepatienten als ausreichend sicher angesehen [Grancini, V. et al. 2019]. Die sichere Therapieeinstellung bei Patienten mit Leberzirrhose erfordert jedoch erhöhte Aufmerksamkeit und Vorsicht. Das größte Risiko stellt dabei die erhöhte Neigung zur Hypoglykämie bei Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion dar. Zusätzlich kann die Insulineinstellung bei abnehmender Leberfunktion durch einen sogenannten hepatogenen Diabetes erschwert werden [Elkrief, L. et al. 2016]. Hierbei entsteht als Folge der abnehmenden Leberfunktion eine fortschreitende Betazelldysfunktion mit eingeschränkter Insulinsekretion, kombiniert mit verminderter Insulinsensitivität [Grancini, V. et al. 2019], [Grancini, V. et al. 2015]. Vor diesem Hintergrund sollte die Insulintherapie nur bei Patienten mit T2DM und NASH Zirrhose zum Einsatz kommen, bei denen andere antidiabetische Therapiekonzepte gescheitert sind. Bei Patienten mit T2DM und schwerer hepatischer Dekompensation, also Leberzirrhose Child C oder akut-auf-chronisches Leberversagen, stellen Insulin oder Insulinanaloga jedoch die einzige antihyperglykäme Therapieoption dar.
In der Steuerung der Diabeteseinstellung ist zu beachten, dass der HbA1c-Wert bei Patienten mit Leberzirrhose die Blutzuckereinstellung nicht gut abbildet, und gerade bei Patienten mit fortgeschrittener Lebererkrankung falsch niedrige Befunde ergibt [Silva, T. E. et al. 2018], [Nadelson, J. et al. 2016].