Kommentar
Hintergrund
Die NAFLD ist mittlerweile zu einem der Hauptrisikofaktoren für die HCC-Entwicklung geworden und wird möglicherweise die viralen Hepatitiden als Hauptursache in wenigen Jahren ablösen [Younossi, Z. M. et al. 2015]. Daher ist eine regelmäßige Überwachung von Patienten mit nachgewiesener NAFLD-Zirrhose bezüglich der HCC-Entstehung etabliert und anerkannt (s.o.). Deutlich schwieriger ist es die äußerst heterogene Gruppe der Patienten mit NAFLD ohne Vollbild einer Zirrhose zu bewerten. Eine generelle HCC-Surveillance aller NAFLD-Patienten ist weder als kosteneffektiv noch – insbesondere aufgrund der hohen und immer weiter steigenden Fallzahl – als praktisch durchführbar zu werten, da die jährliche HCC-Inzidenz in dieser Gruppe deutlich unter 1,5% liegt [Marrero, J. A. et al. 2018]. Mehrere Studien der letzten Jahre haben ergeben, dass bis zu 42% aller NAFLD-assoziierter HCCs in nicht-zirrhotischen Lebern auftreten [Ertle, J. et al. 2011]. Dieser Umstand bedarf der Identifikation von Patientenkollektiven mit erhöhtem Risikoprofil. Folgende Risikofaktoren konnten identifiziert werden:
Fortgeschrittene Leberfibrose: Eine Meta-Analyse von Dulai et al. konnte die NAFLD-assoziierte Leberfibrose als wichtigsten Risikofaktor für die Mortalität bei NAFLD identifizieren [Dulai, P. S. et al. 2017]. Insbesondere das Risiko für die leberspezifische Mortalität incl. HCC war bei den Fibrosepatienten exponentiell erhöht und abhängig vom Fibrosegrad (maximale HR 42,30 (95% CI 3,51-510,34) bei F4. Daher sollte eine nicht-invasive Bestimmung des Fibrosegrades bei allen Patienten mit NAFLD erfolgen (z.B. als Kombination aus zwei unterschiedlichen Testmodalitäten z.B. Fibrose-Scores (FIB-4, NFS) und bildgebende Verfahren (transiente Elastographie, Scherwellen-Elastographie, ARFI, u.a.) [Loomba, R. et al. 2020]. Weitere aktuelle Studien haben die Leberfibrose bei NAFLD-Patienten als Risikofaktor für die HCC-Entwicklung identifizieren können [Kanwal, F. et al. 2018], [Grimaudo, S. et al. 2020]. In einer amerikanischen retrospektiven Kohortenstudie mit 296.707 NAFLD Patienten und ebenso vielen Kontrollpatienten konnte neben höherem Lebensalter, männlichem Geschlecht und T2DM auch in der Subgruppe der Patienten ohne Zirrhose ein erhöhtes HCC-Risiko bei konstant erhöhtem FIB-4 über 2,67 festgestellt werden [76]. Im Falle einer NAFLD-assoziierten Fibrose erscheint es daher sinnvoll weitere Risikofaktoren für die HCC-Entwicklung zu untersuchen.
Männliches Geschlecht hat sich mittlerweile in vielen Studien von NAFLD-Patienten zur HCC-Entwicklung als unabhängiger Risikofaktor herauskristallisiert [Kanwal, F. et al. 2018][Kansagara, D. et al. 2014][Liu, Y. L. et al. 2014]. Eine europäische Arbeit untersuchte 100 Patienten mit NAFLD-HCC und 275 Kontrollpatienten mit NAFLD. In der Gruppe der HCC-Patienten waren 82% männlich, in der Kontrollgruppe nur 59% [Liu, Y. L. et al. 2014]. Zu einer ähnlichen Einschätzung kamen Ioannou et al. in einer Kohorte aus dem amerikanischen Veterans Affair Healthcare System [Ioannou, G. N. et al. 2019].
Höheres Patientenalter konnte in mehreren Studien als Risikofaktor für die HCC Entwicklung identifiziert werden [Kanwal, F. et al. 2018], [Lee, T. Y. et al. 2017], [Ascha, M. S. et al. 2010], [Ioannou, G. N. et al. 2019], [Kawamura, Y. et al. 2012], [Yang, J. D. et al. 2020]. So konnten zwei Arbeiten im Rahmen des amerikanischen Veterans Affair Healthcare System bei NAFLD-Patienten, die älter als 60 (aHR 2,09) bzw. 65 (0,41 per 1000 PY) Jahre sind, signifikant häufiger HCC diagnostizieren [Kanwal, F. et al. 2018], [Ioannou, G. N. et al. 2019]. In einer taiwanesischen Kohorte ergab sich bereits ein Alter >55 Jahre als relevanter Risikofaktor für die HCC-Entwicklung bei NAFLD-Patienten (HR 7,78 95% CI 3,12-19,44) [Lee, T. Y. et al. 2017]. Auch in einer japanischen Kohorte mit NAFLD-Patienten war ein Alter >60 Jahre einer der Risikofaktoren für die HCC-Entwicklung (HR 4,27; 95% CI 1,30-14,01) [Kawamura, Y. et al. 2012]. Insgesamt lässt sich feststellen, dass mit ansteigendem Alter der NAFLD-Patienten auch das Risiko für ein HCC relevant ansteigt. Dies führt zu dem bekannten Problem, dass Patienten mit HCC im Rahmen einer NAFLD-Erkrankung oft älter und stärker vorerkrankt sind als Patienten mit HCC anderer Ätiologie und daher schwieriger einer Therapie zugeführt werden können.
T2DM: Eine retrospektive Kohortenstudie aus Japan mit 6.508 NAFLD-Patienten konnte das Vorhandensein eines T2DM als unabhängigen Risikofaktor für ein HCC in diesem Patientenkollektiv aufzeigen (HR 3,21; 95% CI 1,09-9,50) [Kawamura, Y. et al. 2012]. Diese Beobachtung konnte in weiteren Studien der letzten Jahre bestätigt werden, sodass ein T2DM, der im Rahmen des metabolischen Syndroms bei NAFLD-Patienten gehäuft auftritt, als relevanter Risikofaktor für ein HCC zu betrachten ist [Kanwal, F. et al. 2018], [Yang, J. D. et al. 2020].
Transaminasenerhöhung: Eine andauernde Entzündungsreaktion der Leber konnte ebenfalls als Risikofaktor für die HCC-Entstehung bei NAFLD-Patienten identifiziert werden. Mehrere Studien konnten eine alleinige AST-Erhöhung (AST >40 IU/l, HR 8,20; 95% CI 2,56-26,26) oder ALT-Erhöhung (HR 6,80; 95% CI 3,00-15,42) bzw. eine erhöhte AST/ALT-Ratio oder einen erhöhten FIB-4 als Risikofaktor für die HCC-Genese bestimmen [Kanwal, F. et al. 2018], [Lee, T. Y. et al. 2017], [Ioannou, G. N. et al. 2019], [Kawamura, Y. et al. 2012]. Dies steht im Einklang damit, dass ein anhaltendes Entzündungsgeschehen in der Leber die Karzinogenese fördert.
Genetische Risikofaktoren: In den letzten Jahren konnten mehrere genetische Risikofaktoren für die NASH Zirrhose beschrieben werden. Insbesondere für SNP in den Genen PNPLA3, TM6FS2 und MBOAT7 wurde eine klare Assoziation zur vermehrten intrahepatischen Fettakkumulation und Fibroseentstehung gezeigt [Sookoian, S. et al. 2011], [Benhammou, J. N. et al. 2020], [Kozlitina, J. et al. 2014], [Mancina, R. M. et al. 2016]. Zusätzlich wurde für PNPLA3 rs738409 C>G bei Patienten mit F3-Fibrose oder Zirrhose ein signifikant erhöhtes HCC-Risiko ermittelt (HR 2.66; 95% CI, 1.02-7.13) [Grimaudo, S. et al. 2020]. Selbst für diesen SNP heterozygote NAFLD-Patienten hatten ein erhöhtes HCC-Risiko und dieses Risiko war bei Homozygotie für GG sogar 5-fach im Vergleich zu CC erhöht [Liu, Y. L. et al. 2014]. Auch für die MBOAT7 Variante re641738 C<T wurde in einer aktuellen Studie ein erhöhtes HCC-Risiko bei NAFLD-Patienten nachgewiesen, insbesondere bei vorbestehender Fibrose (OR 1,65, 95% CI 1,08-2,55) [Donati, B. et al. 2017]. Eine Kombination aus Risikoallelen in PNPLA3, MBOAT7 und TM6FS2 führte zu einem für jedes zusätzliche Risikoallel ansteigendem HCC-Risiko.
In einer aktuellen Arbeit von Behary et al. wurde die Bedeutung der Darm-Leber-Achse bei der NAFLD-Hepatokarzinogenese untersucht. Die Studie legt nahe, dass die Darmmikrobiota bei NAFLD-HCC durch ein ausgeprägtes Mikrobiom bzw. metabolomisches Profil gekennzeichnet ist und die periphere Immunantwort modulieren kann [Behary, J. et al. 2021].
Insgesamt ist die Studienlage für eine Surveillance Empfehlung nicht ausreichend. Es fehlt ein Risiko-Score anhand dessen eine Empfehlung für oder gegen eine HCC-Surveillance ausgesprochen werden kann. Zusammenfassend hat die Subgruppe der NAFLD-Patienten mit Fibrose und weiteren Risikofaktoren (männliches Geschlecht, höheres Lebensalter, T2DM, chronische hepatische Entzündungsrektion, genetische Risikofaktoren) ein erhöhtes Risiko für ein HCC. Hier kann in Ermangelung eines vorhandenen Risikostratifizierungs-Scores im Sinne eines individualisierten Behandlungskonzeptes ein HCC-Screening wie bei NAFLD-Zirrhose (s.o.) angeboten werden.