Hintergrundtext
Die Höhe der Hepatitis-C-Virämie stellt keinen wesentlichen Risikofaktor für den natürlichen Verlauf der chronischen Hepatitis C dar [Poynard, T et al. 1997]. Allerdings scheinen Patienten mit sehr niedriger HCVRNA-Konzentration im Blut, d. h. < 100 000 IU/ml, ein geringeres Risiko für die Entwicklung eines HCC zu besitzen als solche mit einer Virämie ≥ 100 000 IU/ml [Huang, YT et al. 2011]. Eine beschleunigte Fibroseprogression wurde bei Infektionenmit demHCV-Genotyp 3 beschrieben [Bochud, PY et al. 2009]. Folgende Wirtsfaktoren sind mit einem ungünstigen natürlichen Verlauf, d. h. rascher Fibroseprogression/Entwicklung von Zirrhose, assoziiert (keine gewichtete Reihung) (Ia) [Poynard, T et al. 1997], [Freeman, AJ et al. 2001], [Pessione, F et al. 1998], [Ghany, MG et al. 2003], [Ryder, SD et al. 2004], [Hui, CK et al. 2003], [Adinolfi, LE et al. 2001], [Thein, HH et al. 2008], [Lee, MH et al. 2010], [Rüeger, S et al. 2015]:
- höheres Alter des Patienten (auch zum Zeitpunkt der Infektion)
- männliches Geschlecht
- chronischer Alkoholkonsum
- Ko-Infektion mit HIV
- Ko-Infektion mit HBV
- HCV-Genotyp 3
- erhöhte Transaminasen
- Vorliegen einer Steatose
- chronische Hämodialyse
- genetische Faktoren
Die Progression der Fibrose wird auch von genetischen Faktoren mitbestimmt. Genetische Varianten, die an der Regulation der Apoptose beteiligt sind (MERTK und TULP1) zeigten eine Genomweite Assoziation mit der Fibroseprogression in einer großen europäischen Kohorte [Patin, E et al. 2012].
Eine genetische Assoziation mit der Fibroseprogression wurde auch in mehreren Studien für die Varianten der folgenden Gene beschrieben: PNPLA, TM6SF2, IL28B, Interferon lambda, CXCL1, DEPCD5, und Vitamin-D-Rezeptor.
Die Prognoseabschätzung im Einzelfall bleibt jedoch problematisch, da die Fibroseprogression nicht linear verläuft (Ia) [Thein, HH et al. 2008]. In vielen Fällen kann auch bei langjährig gering progredientem Verlauf ein rascher Übergang in ein Zirrhosestadium eintreten [Alberti, A et al. 2003]. Ein histologischer Befund ohne Nachweis einer signifikanten Fibrose (Stadium 0 – 1) in der initialen Leberbiopsie schließt zudem eine rasche Progression der Fibrose im weiteren Verlauf der Erkrankung nicht aus. Ein höheres Alter des Patienten zum Infektionszeitpunkt und im Verlauf hat offenbar eine signifikante Bedeutung für die Fibrose-Progressionsgeschwindigkeit (Ic) [Ghany, MG et al. 2003], [Ryder, SD et al. 2004]. Mehrere Studien belegen zudem, dass der Prozentsatz der Patienten, die im Verlauf (Median ca. 4 Jahre) eine signifikante Progression der Fibrose entwickeln, bei Patienten mit initial geringem (Stadium 0– 1) oder fortgeschrittenem Fibrosestadium (Stadium 2 – 4) vergleichbar ist (24 vs. 16 % Fibroseprogression um > 2 Punkte im Ishak Score) (Ic) [Wilson, LE et al. 2006], [Zarski, JP et al. 2003]. Ebenfalls schließen normale Transaminasen eine Fibroseprogression oder das Vorliegen einer fortgeschrittenen Erkrankung nicht aus (Ia) [Hui, CK et al. 2003], [Alberti, A et al. 2003], [Zeuzem, S et al. 2004].
Die chronische HCV-Infektion ist mit einer statistisch signifikanten Minderung der Lebensqualität assoziiert. Bis zu 35 – 68 % der Patienten leiden unter Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Einschränkung der Leistungsfähigkeit, subklinischen kognitiven Störungen sowie psychomotorischer Verlangsamung. Bei 2 – 30 % können depressive Symptome (nicht Therapie-assoziiert) dokumentiert werden (Ib) [Foster, GR et al. 1998], [Córdoba, J et al. 2003], [Forton, DM et al. 2003], [Carta, MG et al. 2007], [Perry, W et al. 2008], [Acharya, JN et al. 2008]. Psychometrische und funktionelle Magnet-Resonanz-Spektroskopie-Untersuchungen sprechen dafür, dass bestimmte zentralnervöse Funktionen sowie die Neurotransmission durch die HCV-Infektion beeinflusst werden (Ib) [Perry, W et al. 2008], [Weissenborn, K et al. 2004], [Weissenborn, K et al. 2006].
Die signifikante Besserung der Lebensqualität, die sich unabhängig vom Alter der Patienten und des Krankheitsstadiums bereits wenige Wochen nach Beginn einer Interferon-freien Therapie nachweisen lässt, ist ein weiterer Beweis für die pathogenetische Relevanz der chronischen HCV-Infektion bei der Entwicklung neuropsychiatrischer und neurokognitiver Symptome und Erkrankungen (I) [Younossi, ZM et al. 2016][Younossi, ZM et al. 2016][Younossi, ZM et al. 2016][Younossi, ZM et al. 2016].
Zusätzlich können im Rahmen der HCV-Infektion eine Vielzahl weiterer extrahepatischer Symptome und Erkrankungen auftreten (siehe ▶ Tab. "Im Zusammenhang mit der HCV-Infektion beschriebene extrahepatische Manifestationen bzw. Erkrankungen") [Cacoub, P et al. 1999], [Ferri, C et al. 2007], [Zignego, AL et al. 2007]. 40 – 76 % der Patienten mit chronischer Hepatitis-C (CHC) -Infektion entwickeln im zeitlichen Verlauf mindestens eine extrahepatische Manifestation (Ib) [Cacoub, P et al. 1999]. Zu den häufigsten extrahepatischen Manifestationen zählen, nach einer aktuellen Metaanalyse der Daten von 102 Studien, Diabetes mellitus (in 15 %) und Depressionen (in 25 %) (I) [Younossi, Z et al. 2016]. Die Assoziation von HCV-Infektion und Entwicklung maligner lymphoproliferativer Erkrankungen (insbesondere follikuläre Non-Hodgkin-Lymphome [NHL] und Marginalzonen-Lymphome, MALT) kann inzwischen als gesichert gelten (Ia) [Hermine, O et al. 2002], [Mele, A et al. 2003], [Duberg, AS et al. 2005], [Morton, LM et al. 2004], [Zignego, AL et al. 2007], [Giordano, TP et al. 2007]. Die chronische HCV-Infektion erhöht das Risiko für die Entstehung eines NHL um das ca. 2- bis 4-Fache [Mele, A et al. 2003], [Duberg, AS et al. 2005], [Morton, LM et al. 2004], [Hartridge-Lambert, SK et al. 2012].
Eine erhöhte Sterblichkeit bedingt durch Nicht-Leber-Malignome wurde erstmals bei asiatischen Patienten mit chronischer HCV-Infektion (Taiwan) beschrieben. Eine groß angelegte Studie aus den USA bei 12 126 chronisch HCV-infizierten Patienten der „Chronic Hepatitis Cohort Study“ (CHeCS) bestätigt diese Ergebnisse [Allison, RD et al. 2015]. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung (SEER data base) war die Inzidenzrate für Karzinome des Rektums, Pankreas, Lunge, Niere und NHL bei chronischer HCV-Infektion signifikant erhöht (1,6- bis 2,5-fach). Auch die Sterblichkeitsrate für Karzinome des Mundbodens, Rektums, Pankreas und NHLs zeigte eine signifikante Erhöhung um das 1,6- bis 5,2-fache. Die Karzinomdiagnose wurde zudem bei Patienten mit chronischer HCV-Infektion im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung im Mittel 8,5 Jahre früher gestellt und die Patienten starben im Durchschnitt 11,3 Jahre früher (III) [Allison, RD et al. 2015]. Das Risiko für die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 2 erhöht sich bei chronischer HCV-Infektion um einen Faktor von 1,7 bis 1,9 [White, DL et al. 2008], [Naing, C et al. 2012].
Ein Vitamin-D-Mangel ist signifikant mit der chronischen HCVInfektion assoziiert [Petta, S et al. 2010], [Lange, CM et al. 2011]. Zur Frage der Wahrscheinlichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen der chronischen HCVInfektion und der Entwicklung einer Osteopenie bzw. Osteoporose und dem Risiko der osteoporotischen Fraktur sind zahlreiche Studien publiziert worden (I) [Lin, JC et al. 2012], [Mansueto, P et al. 2013], [Yadav, A et al. 2013], [Gatta, A et al. 2014], [Nakchbandi, IA et al. 2014], [Castronuovo, D et al. 2013], [Del Carpio-Cano, FE et al. 2013], [Rothman, MS et al. 2012], [Saccomanno, MF et al. 2011], [Yin, MT et al. 2012], [Compston, J et al. 2015], [Teichmann, J et al. 2003], [Lo Re, V et al. 2012], [Maalouf, NM et al. 2013], [Lo Re, V et al. 2015], [Mazzotta, E et al. 2015], [Dong, HV et al. 2014], [Lai, JC et al. 2015], [Marek, B et al. 2015], [Gaudio, A et al. 2012], [Chen, CH et al. 2015], [Hansen, AB et al. 2014]. Insgesamt bestätigen diese Arbeiten das signifikant erhöhte Risiko für eine Osteoporose sowie für die Entwicklung von Osteoporose-assoziierten Frakturen bei Patienten mit chronischer Hepatitis C. Im Rahmen einer populationsbezogenen Studie wurde die Beziehung zwischen HCV-Infektion und Risiko der Osteoporose auf der Grundlage einer Krankenkassendatenbasis bei über 10 000 HCV-infizierten Patienten untersucht. Es zeigte sich in der Hepatitis-C-Gruppe eine signifikant höhere Osteoporose-Inzidenz im Vergleich zur Kontrollgruppe (8,27 vs. 6,19 pro 1000 Personenjahre, „hazard ratio“ = 1,33). Die Inzidenz der Osteoporose war bei Frauen höher als bei Männern und nahm mit zunehmendem Alter und Komorbiditäten zu. Das Risiko für die Osteoporose-Entwicklung war bei HCV-infizierten Patienten auch nach Adjustierung für weitere Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, Diabetes, Bluthochdruck, Hyperlipidämie, Herzinsuffizienz und Zirrhose signifikant erhöht. Das HCV-spezifische Risiko für Osteoporose nahm jedoch mit zunehmendem Alter und der Präsenz von weiteren Komorbiditäten ab.
Eine Assoziation zwischen HCV-Infektion und der Entwicklung peripher arterieller Erkrankungen wurde beschrieben (III) [Hsu, YH et al. 2015].
Neuere Populations-bezogene Studien belegen zudem, dass die chronische HCV-Infektion auch mit einer Steigerung der Sterblichkeit durch extrahepatische Manifestationen einhergeht, als Folge der erhöhten Prävalenz von kardiovaskulären Erkrankungen, Schlaganfall, Diabetes mellitus und nicht-leberbezogenen Malignomen (I) [Lee, MH et al. 2012], [Lee, MH et al. 2010], [Petta, S et al. 2016].