Erläuterungen
Hintergrund
Für Patienten im Stadium Child B/C einer Leberzirrhose besteht prinzipiell eine dringliche Indikation zur Behandlung der Hepatitis C mit einer DAA-Therapie, vor allem dann, wenn die Aussicht dazu besteht, dass durch die Therapie der Hepatitis C eine Rekompensation der Lebererkrankung erreicht werden kann.
Für Patienten, bei welchen unabhängig vom Ausgang der antiviralen Therapie die Indikation zur Lebertransplantation mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehen bleibt, sollte die Entscheidung zur antiviralen Therapie mit dem Ziel der Prävention der HCV-Re-Infektion unter Berücksichtigung individueller Faktoren getroffen werden. Dazu zählen das Ausmaß der Leber- und ggf. Niereninsuffizienz und die damit verbundenen potenziellen Therapie-Risiken, die Wahrscheinlichkeit der Therapieresponse bzw. des Risikos der Resistenzentwicklung, die voraussichtliche Wartezeit bis zur Transplantation sowie Effekte der antiviralen Therapie auf die Allokation (MELD [Modell of End stage Liver Disease] -Score). Da bisher keine eindeutigen prädiktiven Faktoren für eine klare Indikationsstellung zu einer antiviralen Therapie vor oder nach Lebertransplantation existieren, sollte die Therapieentscheidung in diesen Fällen in Absprache mit einem hepatologischen Zentrum mit Transplantationserfahrung erfolgen.
Inzwischen existiert eine Reihe von (Kohorten-) Studien, die den Erfolg und auch die Risiken einer DAA-Therapie bei Patienten mit dekompensierter Zirrhose im Stadium CHILD B/C untersucht haben (I) [Manns, M et al. 2016], [Poordad, F et al. 2016], [Afdhal, N et al. 2017], [Charlton, M et al. 2015], [Curry, MP et al. 2015], [Foster, GR et al. 2016]. Allen Untersuchungen gemeinsam ist, dass es bei dem überwiegenden Teil der Patienten zu einer teils deutlichen Verbesserung des MELD- und CHILD-Pugh-Scores unter DAA-Therapie kommt. Ein kleiner Teil der Patienten (ca. 5 – 10 %) weist aber auch einen klinischen Progress der Leberzirrhose unter DAA-Therapie auf, vor allem bei bereits fortgeschrittener, portal dekompensierter Leberzirrhose im Stadium CHILD C. In einer neueren Kohortenstudie an über 400 Patienten mit dekompensierter Zirrhose zeigt sich allerdings, dass das Ausmaß der Verschlechterung (MELD-Anstieg) im Vergleich mit einer unbehandelten Kohorte deutlich geringer ausgeprägt ist [Foster, GR et al. 2016]. Dies deutet darauf hin, dass die Verschlechterung des MELD-Scores unter DAA-Therapie im Regelfall nicht Therapie-assoziiert ist, sondern Ausdruck eines „natürlichen“ Progresses der Zirrhose. Die gute Verträglichkeit der DAA-Kombinationen aus NS5B- plus NS5A-Inhibitoren ± RBV im Kontext einer dekompensierten Zirrhose wird in allen Studien hervorgehoben (I) [Manns, M et al. 2016], [Poordad, F et al. 2016], [Curry, MP et al. 2015], [Foster, GR et al. 2016], [Manns, M et al. 2016], [Poordad, F et al. 2016]. Auf der anderen Seite existieren bisher keine (Langzeit-) Studien, die den Effekt einer erfolgreichen DAA-Therapie bei dekompensierter Leberzirrhose in Bezug auf Endpunkte wie transplantationsfreies Überleben oder verringerte Morbidität und Mortalität im Follow-up > 6 Monate darstellen.
Mit den neuen DAA-Regimen kann die HCV-Re-Infektion nach Lebertransplantation sehr effektiv und sicher behandelt werden (siehe Kapitel AG 5: Therapie nach Lebertransplantation). Die Dringlichkeit zur Therapie auf der Warteliste ist daher v. a. dann gegeben, wenn erhofft werden kann, dass im Rahmen der Viruseradikation sich der Zustand des Patienten so verbessert, dass auch auf die Transplantation verzichtet werden kann. Die Indikationsstellung zur DAA-Therapie bei dekompensierter Zirrhose soll auch von den potenziell zu erwartenden SVR-Raten abhängig gemacht werden (siehe dazu auch Kapitel AG 4: Therapie). Ein hohes Risiko für ein Therapieversagen und damit verbundener Resistenzentwicklung gegenüber der DAA-Therapie (v. a. NS5AResistenzen) kann ein Argument gegen eine Therapie auf der Warteliste darstellen. Die bisherigen Studien zeigen, dass die Chancen eine SVR zu erreichen für GT1-Patienten mit 87 – 100 % (I) [Curry, MP et al. 2015], [Foster, GR et al. 2016], [Charlton, M et al. 2015], [Manns, M et al. 2016], [Poordad, F et al. 2016] günstiger sind als beim GT3 mit 50 – 85 % (I) [Curry, MP et al. 2015], [Foster, GR et al. 2016], [Poordad, F et al. 2016]. Ebenso besteht eine Tendenz für höhere SVR-Raten im Stadium CHILD B mit 87 –96% im Vergleich zum Stadium CHILD C mit 50 – 86 % (I) [Charlton, M et al. 2015], [Manns, M et al. 2016], [Poordad, F et al. 2016]. Anzumerken ist dabei die in allen Studien relativ kleine Fallzahl von behandelten Patienten in fortgeschrittenen Stadien der Dekompensation, d. h. im Stadium CHILD C oder mit MELD-Score > 20. Die Vergleichbarkeit der einzelnen Studien bezüglich der SVR-Raten wird dadurch erschwert, dass die verwendeten Therapieregime (u. a. mit oder ohne Ribavirin) wie auch die Dauer der Therapie (12 – 24 Wochen) teils stark variieren. Nach aktueller Studienlage können folgende Faktoren als eher negative Prädiktoren für das Erreichen einer SVR angesehen werden: 1. CHILD C Stadium, 2. Alter > 65 Jahre, 3. Serum-Natrium < 135 mmol/l, 4. Albumin < 35 g/l, 5. Thrombozyten < 60 000/μl, 6. Genotyp 3 (I) [Curry, MP et al. 2015], [Foster, GR et al. 2016], [Charlton, M et al. 2015], [Manns, M et al. 2016], [Poordad, F et al. 2016]. Vermutlich beeinflusst auch die Höhe des MELD-Scores das Therapieansprechen, allerdings existieren derzeit keine Daten, die es zulassen, einen klaren „Cut off“-Wert zu definieren.
Insgesamt erscheint es jedoch bei dekompensierter Leberzirrhose einen Punkt im Verlauf der Krankheit zu geben („Point of no return“), ab welchem auch nach erfolgreicher Viruseradikation kaum ein Prognose-relevanter Vorteil für die Patienten zu erwarten ist.
In der französischen Kohorte betrug die Rate der Abmeldungen von der Warteliste 16 % und in einer weiteren europäischen Multizenter-Studie 19,2 % (III) [Coilly A, Pageaux GP, Houssel-Debry P et al. 2015], [Belli, LS et al. 2016]. Unabhängige prädiktive Faktoren für die Chance einer Abmeldung von der Warteliste waren der initiale MELD-Score (≤ 20 vs. > 20 Punkte) sowie die Verbesserung von MELD-Score und Albumin zu Follow-up-Woche 12.
Die Autoren empfehlen eine Therapie auf der Warteliste bei MELD < 16, ein individuelles Vorgehen bei MELD 16 – 20 und keine Therapie bei MELD > 20. Die deutsche Expertengruppe empfiehlt die Therapie bei MELD < 18 und in den aktuellen EASL-Leitlinien wird bei einem MELD-Score ≥ 18 – 20 eine Therapie erst nach Transplantation empfohlen, es sei denn, die erwartete Wartezeit auf der Warteliste ist > 6 Monate (I) [Zimmermann, T et al. 2016], [J Hepatol et al. 2015].
Zusammengefasst bedarf die Indikationsstellung zur DAA-Therapie bei dekompensierter Zirrhose einer individualisierten Entscheidung, wobei das Vorliegen mehrerer negativer Prädiktoren eines Therapieansprechens die Entscheidung eher gegen eine Therapie steuern sollte, wenn die Option zur Lebertransplantation noch besteht. Bei Patienten ohne Chance auf eine Transplantation erscheint ein antiviraler Therapieversuch gerechtfertigt.