Erläuterungen
Hintergrund
Die Behandlung von Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose sollte in erfahrenen Zentren durchgeführt werden. Aufgrund der hepatischen Metabolisierung und möglicher toxischer Effekte, über die in Einzelfällen nach der Zulassung berichtet wurde, sollten HCV-NS3-Protease-Inhibitoren wie Voxilaprevir, Grazoprevir und Glecaprevir nicht bei Patienten mit dekompensierter Zirrhose (Child-Pugh B und C) eingesetzt werden (III) [Poordad, F et al. 2017]. Für die Gabe von NS5A-Inhibitoren wie Ledipasvir oder Velpatasvir in Kombination mit Sofosbuvir und ggf. Ribavirin bei Patienten mit dekompensierter Zirrhose, die einen primären renalen Metabolisierungsweg aufweisen, wurde über ein gehäuftes Auftreten von Infektionen, Laktatazidosen und anderen Komplikationen berichtet (III) [Padegimas, A et al. 2016], [Marchan-Lopez, A et al. 2016], [Welker, MW et al. 2016]. Ein eindeutiger kausaler Zusammenhang mit der antiviralen Therapie konnte jedoch nicht nachgewiesen werden, sodass bei Patienten mit dekompensierter Zirrhose aufgrund der insgesamt erhöhten Suszeptibilität infolge der Initiierung einer antiviralen Therapie vermutlich das Risiko für Komplikationen leicht erhöht wird (I) [Hoofnagle, JH et al. 2016].
Grundsätzlich sind bei Patienten mit einer dekompensierten Leberzirrhose die Indikation und die Möglichkeit zur Lebertransplantation zu prüfen. Auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen scheinen die meisten Patienten mit einem niedrigen bis mittleren MELDWert von einer antiviralen Therapie mit anhaltender Verbesserung der Leberfunktion zu profitieren, während in der Mehrzahl der Patienten mit höheren MELD-Werten (typischerweise MELD > 20) trotz Viruseradikation keine ausreichende klinische Verbesserung zu erwarten ist (siehe auch Kapitel Transplantation) (I) [Zimmermann, T et al. 2016], [Cheung, MCM et al. 2016], [Belli, LS et al. 2016].
Velpatasvir plus Sofosbuvir ± Ribavirin
Bei 275 Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose und Infektion mit den HCV-Genotypen 1–4 sowie einem Patienten mit HCV-Genotyp 6 wurden in einer 3-armigen Phase-3-Studie die Kombinationstherapie aus Velpatasvir, Sofosbuvir für 12 oder 24 Wochen sowie eine Therapie aus Velpatasvir, Sofosbuvir und Ribavirin über 12 Wochen evaluiert [Curry, MP et al. 2015] (Ib).
Die SVR-Raten bei Patienten mit einer HCV-Genotyp-1-Infektion, die Velpatasvir und Sofosbuvir ohne und mit Ribavirin über 12 Wochen erhalten hatten, lagen bei 88 % und 96 %. Die längere Therapie über 24 Wochen ohne Ribavirin führte in 92 % der Fälle zu einem SVR und zeigte damit keine signifikante Steigerung der Effektivität. Bei den HCV-Genotypen 2 und 4 erreichten alle Patienten mit der 12-wöchigen Therapie mit und ohne Ribavirin ein dauerhaftes virologisches Therapieansprechen. Bei Patienten mit dekompensierter Zirrhose und einer HCV-Genotyp-3-Infektion konnte lediglich mit der 3-fach-Therapie mit Velpatasvir, Sofosbuvir und Ribavirin über 12 Wochen eine SVR von 85% erreicht werden, während die Kombinationstherapien ohne Ribavirin über 12 oder 24 Wochen lediglich bei jeweils 50 % der Patienten zu einem SVR führten [Curry, MP et al. 2015].
Damit sollte bei Patienten mit dekompensierter Zirrhose eine Therapie mit Velpatasvir, Sofosbuvir und Ribavirin über 12 Wochen durchgeführt werden (Ib). Während bei den HCV-Genotypen 1, 2, 4–6 bei eingeschränkter Verträglichkeit auch eine Therapie ohne Ribavirin möglich ist, sollte beim HCV-Genotyp 3 die Behandlung möglichst unter Einschluss von Ribavirin erfolgen (Ib). Eine Therapie über 24 Wochen sollte nur im Einzelfall erfolgen.
Ledipasvir plus Sofosbuvir und Ribavirin
Die Effektivität der Kombinationstherapie aus Sofosbuvir plus Ledipasvir und Ribavirin über 12 bzw. 24 Wochen bei Patienten mit einer HCV-Genotyp-1- oder -4-Infektion mit dekompensierter Leberzirrhose (Child-Pugh B und C) vor oder nach Lebertransplantation wurde in mehreren Studien untersucht [Charlton, M et al. 2015], [Manns, M et al. 2016]. In einer Studie mit allerdings überwiegend Patienten mit kompensierter Zirrhose wurde auch ein Vergleich zwischen einer Therapie mit Ledipasvir, Sofosbuvir und Ribavirin über 12 Wochen versus Ledipasvir und Sofosbuvir über 24 Wochen durchgeführt [Bourlière, M et al. 2015].
Insgesamt zeigten sich in der Child-Pugh-B-Situation (n = 108) SVR-Raten von 86 % und 92 % nach einer Therapie mit Ledipasvir, Sofosbuvir und Ribavirin über 12 bzw. 24 Wochen. Bei Patienten mit einer Child- Pugh-C-Zirrhose (n = 101) lagen die SVR-Raten mit 84 % und 81 % niedriger [Charlton, M et al. 2015], [Manns, M et al. 2016]. In der Studie mit mehrheitlich Patienten mit einer kompensierten Zirrhose (n = 154) erreichten 96 % der Patienten, die Ledipasvir, Sofosbuvir und Ribavirin über 12 Wochen erhalten hatten, und 97 % derjenigen, die eine 24-wöchige Therapie mit lediglich Ledipasvir und Sofosbuvir erhalten hatten, einen SVR [Bourlière, M et al. 2015].
Damit sollte bei Patienten mit HCV-Genotyp-1- oder -4-Infektion und einer dekompensierten Zirrhose eine Therapie mit Ledipasvir, Sofosbuvir und Ribavirin über 12Wochen erfolgen (IIb). Bei Kontraindikationen für die Gabe von Ribavirin kann eine Therapie mit Ledipasvir und Sofosbuvir über 24 Wochen erfolgen (V). In der klinischen Praxis wurde die Gabe von Ledipasvir/Sofosbuvir durch das pangenotypische DAA-Regime Velpatasvir/Sofosbuvir ersetzt, so dass Ledipasvir/Sofosbuvir in Deutschland praktisch kaum mehr eingesetzt wird.