Erläuterungen
Hintergrund
Bei Patienten mit einer HCV-assoziierten Lebererkrankung und geplanter Lebertransplantation ist die antivirale Behandlung Teil des Gesamttherapiekonzepts. Die Entscheidung, ob eine antivirale Therapie vor oder nach Transplantation initiiert werden soll, sowie Zeitpunkt des Therapiebeginns und Auswahl des Therapieregimes sollten deswegen in Zusammenarbeit mit dem Transplantationszentrum getroffen werden. Virologische Therapieziele können das Erreichen einer SVR vor Transplantation oder die Verhinderung einer HCV-Transplantatinfektion sein. Klinische Therapieziele können eine Verbesserung/Stabilisierung der Leberfunktion sein, um die Wartezeit bis zur Transplantation zur überbrücken, bzw. eine spezifische Therapie bei Vorliegen eines konkordanten HCC im BCLC-Stadium A zu ermöglichen, ferner in Ausnahmefällen die Abmeldung von der Liste zur Lebertransplantation [Ferenci, P et al. 2015], [Ruiz, I et al. 2015], [Coilly A, Pageaux GP, Houssel-Debry P et al. 2015].
Durch die Einführung der neuen Interferon-freien, DAA-basierten Therapien und der je nach Regime deutlichen Verkürzung der Behandlungsdauer gegenüber der Interferon-basierten Therapie wird die Viruseradikation auch für Patienten im perioperativen LTX-Setting zu einer potenziellen Option. Aktuell sind allerdings noch keine belastbaren Daten zur perioperativen, prophylaktischen DAA-Therapie bei LTX-Kandidaten verfügbar.
Eine klinische Phase-II-Studie an US-Zentren zur Evaluierung der Sicherheit und Wirksamkeit von Ledipasvir/Sofosbuvir im perioperativen LTX-Setting befindet sich gegenwärtig in der Rekrutierungsphase (II) [Afdhal NEG, Calleja JL, McCaughan G et al. 2014]. Erwachsene Patienten mit einer chronischen HCV-Infektion vom Genotyp 1 und 4 auf der Warteliste für eine LTX erhalten präoperativ eine Dosis Ledipasvir 90mg/Sofosbuvir 400mg (LDV/SOF) FDC sowie nach LTX 1-mal täglich LDV/ SOF für 4 Wochen. Primäre Endpunkte sind die SVR12 und Inzidenz von nebenwirkungsbedingten Therapieabbrüchen. Die Patienten können unabhängig von der Höhe der MELD- und CTPScores eingeschlossen werden. Die entsprechenden Ergebnisse in Bezug auf einen präoperativen Therapiebeginn und Fortsetzung nach LTX sollten abgewartet werden.
In der offenen, multizentrischen Phase-III-Studie ALLY-1 wurden 4 Patienten unter der Therapie mit Daclatasvir/Sofosbuvir (DCV/SOF) plus Ribavirin transplantiert (I) [Poordad, F et al. 2016]. Die Behandlung wurde unabhängig von der Therapiedauer vor LTX unmittelbar post LTX bei 3 Patienten fortgesetzt, wobei alle Patienten eine SVR12 erreichten.
Eine Anti-HCV-Immunglobulin-Gabe als prophylaktischen Ansatz einer HCV-Re-Infektion wurde in einer randomisierten, prospektiven, kontrollierten und multizentrischen Phase-III-Studie in den USA evaluiert: 63 Patienten wurden ≤ 24 Wochen präoperativ mit DAA (überwiegend Sofosbuvir-assoziierte Therapieregime) behandelt und erhielten in der peri- sowie unmittelbar postoperativen Phase über 10 Wochen Anti-HCV-Immunglobulin in einer Dosierung von 200 mg/kg bzw. 300 mg/kg oder keine Therapie (I) [Terrault, Norah et al. 2015/04/01]. In einer Interimsanalyse zeigte sich, dass unter der Dosis mit 300mg/kg Anti-HCV-Immunglobulin der Anteil der rekurrenten HCV-Infektionen bei 5 % lag gegenüber 30 % in der niedrigeren Anti-HCV-Immunglobulindosis und 32 % in der Kontrollgruppe. Allerdings lag in der Kontrollgruppe zum Zeitpunkt der LTX eine HCV-RNA Replikation bei 14 % vor vs. 0 % bei Patienten, die 300mg/kg Anti-HCV-Immunglobulin postoperativ erhielten.
Bei einer DAA-basierten, antiviralen Therapie, die unmittelbar postoperativ begonnen wird, muss das übliche postoperative Szenario berücksichtigt werden: Dazu gehören die höhere Intensität der immunsuppressiven Therapie und potenziell deutliche Spiegelschwankungen der Immunsuppression, mögliche Laborwertveränderungen (z. B. Anämie, erhöhte Leber- und Nierenwerte, hepatorenales Syndrom vor LTX), erhöhte infektiologische Komplikationsraten, die Möglichkeit einer primären Nichtfunktion der Transplantatleber bzw. Frühmortalität, eines Gallelecks oder Gallengangskomplikationen sowie die Rekonvaleszenz-Phase und ggf. anstehende Rehabilitationsmaßnahmen.
Bei stabiler Transplantatfunktion und päoperativem Beginn kann die DAA-Therapie unmittelbar nach LTX fortgesetzt werden, wobei die optimale Dauer der Therapiefortführung post-LTX nicht bekannt ist. Insbesondere sollten bei DAA, welche mit der Immunsuppression interagieren, vor Einleitung einer antiviralen Therapie stabile Spiegel der Immunsuppression vorliegen.
Bei Patienten mit einer frühen postoperativen Re-Infektionsassoziierten Entzündungsaktivität in der Leber und Risikofaktoren für eine raschere Fibroseprogression kann es im Einzelfall sinnvoll sein, trotz der noch fehlenden Evidenz eine präemptive Therapie in Erwägung zu ziehen. Zeitlich kann sie nach postoperativer Stabilisierung und nach Ausschleichen der Steroide (3 Monate post LTX) durchgeführt werden.
Bei Patienten mit einer kompensierten Leberzirrhose sind die virologischen Ansprechraten vergleichbar wie bei Patienten ohne Leberzirrhose (I) [Curry, MP et al. 2015], [Charlton, M et al. 2015], [Poordad, F et al. 2016], [Bourlière, M et al. 2015], [Poordad, F et al. 2016], [Foster, GR et al. 2015], [Feld, JJ et al. 2015], [Lawitz, E et al. 2015], [Muir, AJ et al. 2015], [Reddy, KR et al. 2015], [Rockstroh, JK et al. 2017], [Hézode, Christophe et al. 2015/01/01], [Afdhal NEG, Calleja JL, McCaughan G et al. 2014]. Standardtherapie ist die Behandlung mit einer DAA-Kombination für 12 Wochen. Bei ungünstigen Prädiktoren und in Abhängigkeit von HCV-Genotyp und geplantem Therapieregime kann eine Therapieverlängerung von 12 auf 24 Wochen und/oder die zusätzliche Gabe von Ribavirin erwogen werden (I) [Curry, MP et al. 2015], [Charlton, M et al. 2015], [Poordad, F et al. 2016], [Bourlière, M et al. 2015], [Poordad, F et al. 2016], [Bourlière, M et al. 2015], [Foster, GR et al. 2015], [Feld, JJ et al. 2015], [Foster, GR et al. 2015], [Rockstroh, JK et al. 2017], [Ferenci, P et al. 2014], [Reddy, KR et al. 2015], [Muir, AJ et al. 2015], [Lawitz, E et al. 2015], [Poordad, F et al. 2014], [Nelson, DR et al. 2015], [Hézode, Christophe et al. 2015/01/01], [Afdhal NEG, Calleja JL, McCaughan G et al. 2014].
Bei Patientenmit dekompensierter Leberzirrhose ist die Datenlage aktuell nicht ausreichend, um eine Empfehlung auszusprechen, in welcher Konstellation eine Interferon-freie antivirale Behandlung besser vor oder nach einer Lebertransplantation erfolgen sollte. Dies gilt vor allem für Patienten mit einem MELD > 16, die in Studien bislang nur in sehr geringer Anzahl behandelt wurden. Zudem sind die virologischen Ansprechraten bei Vorliegen einer dekompensierten Zirrhose negativ mit der Schwere der Lebererkrankung korreliert (I) [Curry, MP et al. 2015], [Charlton, M et al. 2015], [Poordad, F et al. 2016], [Manns, M et al. 2016], [Ferenci, P et al. 2015], [Afdhal NEG, Calleja JL, McCaughan G et al. 2014].
Eine Verbesserung der Leberfunktion mit Rücknahme der Indikation für eine Lebertransplantation bei Patienten ohne weitere Indikation zur Transplantation wurde bislang für einzelne Patienten berichtet [Ruiz, I et al. 2015] , [Wittchen HU, Rehm JT, Gölz J et al. 2011]. Eine Verbesserung des MELD-Scores von im Median 2 Punkten bei jedoch großer Spannweite wurde in zwei Studien bei Patienten mit Leberzirrhose Child-Pugh B/C beobachtet (I) [Poordad, F et al. 2016] , [Manns, M et al. 2016]. Bei einem Teil der Patienten wurde eine Stagnation oder Verschlechterung des MELD-Scores beobachtet und zudem war eine Verbesserung des MELD-Scores nicht immer mit einer klinischen Verbesserung korreliert (I) [Curry, MP et al. 2015], [Charlton, M et al. 2015], [Poordad, F et al. 2016], [Poordad, F et al. 2016], [Manns, M et al. 2016], [Afdhal NEG, Calleja JL, McCaughan G et al. 2014]. Eine Verbesserung der portalen Hypertension wurde bei erfolgreicher antiviraler Therapie bei Patienten mit Leberzirrhose im Stadium Child-Pugh A-C in 2 Studien beschrieben (II) [Lens, S et al. 2015], [Afdhal, Nezam et al. 2015/04/01]. In einer Studie entwickelten 19 Patienten eine Dekompensation, wobei sich der Baseline-HPVG (keine Dekompensation bei HVPG < 10) als unabhängiger Risikofaktor für die Dekompensation erwies, nicht jedoch das Erreichen eines SVR (III) [Lens, S et al. 2015]. Bei Durchführung einer DAA-basierten antiviralen Therapie bei Patienten mit dekompensierter Zirrhose ist zudem eine erhöhte Rate schwerwiegender Komplikationen beschrieben, deren Zusammenhang mit der Therapie noch nicht abschließend geklärt ist [Curry, MP et al. 2015] , [Saxena, V et al. 2015], [Welker, MW et al. 2016]. Für Patienten mit dekompensierter Zirrhose stellt die Verhinderung der Transplantatinfektion damit die führende Indikation für eine Interferon-freie antivirale Therapie dar, während das Erreichen einer klinischen Rekompensation und die Vermeidung einer Lebertransplantation seltenere Ereignisse sind.