Wie ist die SARS-CoV-2 Infektion und die COVID-19 Erkrankung von Patienten nach Lebertransplantation zu behandeln?

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Hintergrund

Berichte von Transplantatempfängern, die zu Beginn der Pandemie mit COVID-19 ins Krankenhaus eingewiesen wurden, deuten auf Sterblichkeitsraten von bis zu 28% hin [Belli, LS et al. 2020] , [Kates, OS et al. 2021] , [Akalin, E et al. 2020] , [Pereira, MR et al. 2020] , [Montagud-Marrahi, E et al. 2020] , [Fernández-Ruiz, M et al. 2020] . Ob die Sterblichkeitsrate allerdings höher ist als bei Patienten ohne Transplantation ist nicht belegt (siehe Empfehlungen in Kapitel: Gelten besondere Empfehlungen für Patienten nach Lebertransplantation zur Vermeidung einer SARS-CoV-2-Infektion?). Die Ergebnisse einer prospektiven europäischen Studie aus 19 Transplantationszentren berichtet, dass die Gesamtsterblichkeitsrate und die Sterblichkeitsrate im Krankenhaus 12 % bzw. 17 %, betrug, was der erwarteten Sterblichkeitsrate von Patienten mit schwerer COVID-19-Erkrankung entspricht [Becchetti, C et al. 2020]. Daten aus Spanien berichten sogar, dass die Sterblichkeitsrate von hospitalisierten Patienten nach Lebertransplantation mit 18 % niedriger war als in der entsprechenden Allgemeinbevölkerung [Colmenero, J et al. 2021] (siehe Empfehlungen in Kapitel: Gelten besondere Empfehlungen für Patienten nach Lebertransplantation zur Vermeidung einer SARS-CoV-2-Infektion?). Wichtige Einflussfaktoren für das besondere Risiko der Patienten mit Lebertransplantation sind Komorbiditäten (z.B. Hypertonus, Diabetes, Niereninsuffizienz), die häufiger als in der Normalbevölkerung sind, und die Intensität der Immunsuppressiva-Therapie.

Der Einfluss der immunsuppressiven Therapie im Zusammenhang mit COVID-19 ist komplex. Einerseits kann durch die Immunsuppressiva-Therapie-vermittelte Immunsuppression die Suszeptibilität für eine SARS-CoV-2 Infektion möglicherweise erhöhen [Colmenero, J et al. 2021] , andererseits aber auch durch Unterdrückung der inflammatorischen Reaktion den COVID-19 Verlauf in der zweiten Krankheitsphase günstig beeinflussen [Brennan, DC et al. 2013] . Zusätzlich besteht durch die immunsuppressive Therapie eine verminderte Impfantwort (siehe Empfehlungen in Kapitel: Gelten besondere Empfehlungen für Patienten nach Lebertransplantation zur Vermeidung einer SARS-CoV-2-Infektion?).

Aufgrund dieser Komplexität sollten Lebertransplantations-Empfänger, die eine immunsuppressive Therapie erhalten, als Personen mit erhöhtem Risiko für eine komplizierte SARS-CoV-2 Infektion eingestuft werden [Fix, OK et al. 2020] . Eine frühzeitige Kontaktaufnahme dieser Patienten wird empfohlen, insbesondere um rechtzeitig therapeutische Maßnehmen einleiten zu können.

Der frühzeitige Einsatz eines monoklonalen Antikörpers (präemptive Therapie) kann das Risiko eines schweren COVID-19 Verlaufs bei seronegativen Personen verringern [Weinreich, DM et al. 2021] , [Dougan, M et al. 2021] , [Gupta, A et al. 2021] (siehe Empfehlungen in Kapitel: Wie ist die SARS-CoV-2 Infektion und die COVID-19 Erkrankung von Patienten auf der Lebertransplantationswarteliste zu behandeln?). Es ist jedoch zu beachten, dass monoklonale Antikörper nicht gegen alle SARS-CoV-2-Varianten wirksam sind [Iketani, S et al. 2022] , [Takashita, E et al. 2022] . Zurzeit sind wirksame Antikörper gegen die Variante Omicron BA.2 (Tixagevimab / Cilgavimab) nur zur Prophylaxe per intramuskulärer Applikation zugelassen.

Die direkten antiviralen Wirkstoffe Nirmatrelvir/r, Remdesivir und Molnupiravir sind alternative Optionen, die gegen alle Varianten wirksam [Takashita, E et al. 2022] und insbesondere dann vorzuziehen sind, wenn der Antikörperstatus unbekannt ist. Bislang gibt es allerdings relativ wenige veröffentlichte Daten und Evidenz über die Sicherheit und Wirksamkeit bei Organtransplantat-Empfängern. Bei den direkten antiviralen Wirkstoffen (Details zur Dosis siehe Tabelle: Besondere Hinweise bei Arzneimitteln, die für eine SARS-CoV-2-Behandlung bei Patienten vor und nach Lebertransplantation eingesetzt werden können) müssen Nierenfunktion, Medikamenten-Wechselwirkungen und die Leberfunktion berücksichtigt werden.

Es ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Nirmatrelvir plus Ritonavir-Kombinationdie Calcineurininhibitor- und mTOR-Inhibitor-Spiegel stark beeinflusst und daher Talspiegelkontrollen mit Adjustierung der Dosierung unter Therapie erfolgen müssen. Remdesivir und Molnupriravir sind in dieser Hinsicht weit weniger problematisch.

Die Symptomatik einer SARS-CoV-2 Infektion kann sich bei Patienten, die immunsuppressiv behandelt werden, von immungesunden Personen unterscheiden. Während Fieber seltener auftritt, ist öfter mit. gastrointestinalen Symptomen zu rechnen [Kim, MY et al. 2020] , [Lee, BT et al. 2020] , [Webb, GJ et al. 2020] . Aufgrund der oft atypischen Verläufe kann im Einzelfall auch bei symptomatischen Patienten bzw. solchen mit milden Symptomen eine stationäre Aufnahme gerechtfertigt sein.

Ein weiterer Grund für die frühzeitige stationäre Aufnahme oder alternativ eine engmaschige ambulante Kontrolle ist die Feinjustierung der immunsuppressiven Therapie und Anpassung an die aktuelle Situation. Spiegelbestimmungen der entsprechenden Immunsuppressiva sollten zeitnah erfolgen. Die Adjustierung der immunsupressiven Therapie solle individuell in Abhängigkeit von Symptomatik und Phase der COVID-19 Erkrankung erfolgen, auch vor dem Hintergrund der potentiellen Substanz- und Erkrankungsphasen-abhängigen Vor- und Nachteile einer immunsuppressiven Therapie.

Ein multizentrisches US-Register für organtransplantierte Patienten ermittelte keinen Zusammenhang zwischen der Intensität der Basisimmunsuppression und dem Verlauf von COVID-19 [Donato, MF et al. 2020] . Eine spanische Kohortenstudie berichtet, dass Mycophenolat-Mofetil (MMF) das Risiko für schwerwiegende COVID-19-Verläufe in einem dosisabhängigen Maße erhöht, während Calcineurin-Inhibitoren (CNI) und mTOR-Inhibitoren keinen Einfluss hatten [Colmenero, J et al. 2021] .

Die Calcineurin-Inhibitoren Cyclosporin A und Tacrolimus scheinen in-vitro sogar eine antivirale Wirkung gegen mehrere Coronaviren zu haben, darunter SARS-CoV und MERS-CoV [de Wilde, AH et al. 2011] , [Kawazoe, M et al. 2021] .

Klinische Hinweise auf eine Wirkung von Cyclosporin A bei COVID-19 existieren in Form einer offenen, nicht-randomisierten Studie mit 209 Patienten mit COVID-19-Pneumonie, in welcher Cyclosporin A in Kombination mit Glukokortikoiden mit einem besseren COVID-19 Verlauf assoziiert war als Glukokortikoide allein, insbesondere bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Erkrankung [Gálvez-Romero, JL et al. 2021] .

Tacrolimus war in einer europäischen Multicenterstudie mit 243 Lebertransplantatempfängern mit COVID-19 mit einer verbesserten Überlebensrate assoziiert [Belli, LS et al. 2021] .

Calcineurin-Inhibitoren könnten möglichweise durch Interaktion mit dem “Nuclear Factor of activated T Cells“ auch den SARS-CoV-2-induzierten Zytokinsturm reduzieren. Daher sollten Calcineurin- und mTOR-Inhibitoren nicht abgesetzt bzw. ohne Spiegelbestimmungen reduziert werden. Die immunsuppressive Therapie sollte jedoch angepasst werden, falls Dexamethason, Baricitinib oder Tocilizumab zur Behandlung der COVID-19 Pneumonie eingesetzt wird (siehe Empfehlungen in Kapitel: Wie ist die SARS-CoV-2 Infektion und die COVID-19 Erkrankung von Patienten auf der Lebertransplantationswarteliste zu behandeln?). Bei Patienten, die MMF erhalten, sollte eine MMF-Dosisreduktion bzw. Pausierung erfolgen und Immunsuppression mit Calcineurin-Inhibitoren, mTOR-Inhibitoren oder Steroiden fortgeführt bzw. auf diese Substanzklassen umgestellt werden bis zur Genesung von COVID-19 (Abbildung: Algorithmus zur Anpassung der Immunsuppression bei Patienten nach Lebertransplantation und COVID-19). Eine Adaptation der MMF-Dosis an die Lymphozytenzahl analog zu den Empfehlungen des Johns Hopkins Comprehensive Transplant Center kann erwogen werden: Reduktion der MMF Dosis bei Lymphozytenzahl zwischen 700-1000 Zellen/µl und Absetzen von MMF bei Lymphozyenzahl <700 Zellen/µl [Kim, MY et al. 2020].

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